Missbrauchsaufsicht

Die wirtschaftliche Macht eines Unternehmens wird in aller Regel durch vergleichbare Angebote konkurrierender Unternehmen beschränkt. So lange für Anbieter oder Nachfrager hinreichende Ausweichmöglichkeiten bestehen, begrenzt dies den Verhaltensspielraum der Unternehmen. Manche Unternehmen unterliegen indes keinem wirksamen Wettbewerbsdruck, so dass sie gegenüber Wettbewerbern, Anbietern und Nachfragern über besondere Verhaltensspielräume verfügen. Eine solche wirtschaftliche Machtstellung zu erlangen oder innezuhaben, ist nicht verboten. Oft beruht sie auf hoher Innovationskraft, besonderem Geschick und der bewussten Inkaufnahme von Risiken. Aufgabe des Kartellrechts und der Kartellbehörden ist es aber, die missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht zu verhindern. Die Missbrauchsaufsicht stellt damit das staatliche Regulativ für fehlenden Wettbewerb dar.

Eine Besonderheit gilt für Märkte der digitalen Wirtschaft: Insbesondere aufgrund von Netzwerkeffekten, Datenvorteilen und damit verbundenen Selbstverstärkungseffekten können hier starke und schnell einsetzende Konzentrationstendenzen drohen. Diese Umstände sowie Größen- und Ressourcenvorteile insbesondere der etablierten Digitalkonzerne können dazu führen, dass einmal vorhandene starke Marktstellungen nur noch schwer angreifbar sind. Daher ist hier bei drohenden Fehlentwicklungen unter bestimmten Umständen bereits ein früheres Eingreifen durch das Bundeskartellamt möglich.

Wann ist ein Unternehmen marktbeherrschend?

Nicht jedes große oder wirtschaftlich starke Unternehmen ist auch im kartellrechtlichen Sinne marktbeherrschend. Von einer Marktbeherrschung spricht man, wenn ein Unternehmen auf einem Markt ohne Wettbewerber ist, keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat. Damit einher geht ein Verhaltensspielraum für das marktbeherrschende Unternehmen, der vom Wettbewerb nicht mehr hinreichend kontrolliert wird. Ob ein Unternehmen eine solche überragende Stellung auf dem betroffenen Markt innehat, ergibt sich aus einer Gesamtbetrachtung aller wettbewerbsrelevanter Kriterien, wie zum Beispiel:

  • der Marktanteile des fraglichen Unternehmens und seiner Wettbewerber (ab einem Marktanteil von 40 Prozent wird Marktbeherrschung vermutet)
  • der Zahl und der Größe der Wettbewerber
  • dem Zugang zu relevanten Ressourcen wie z.B. Patenten, Produktionsstätten, Vertriebsnetzen
  • Zutrittschancen für Newcomer
  • der Nachfragemacht auf der Marktgegenseite

Darüber hinaus gibt es weitere Kriterien, die insbesondere für mehrseitige Märkte und Netzwerke und damit zur Bemessung von Marktmacht in der Digitalwirtschaft relevant sein können, z.B.:

  • direkte und indirekte Netzwerkeffekte
  • Ist die parallele Nutzung mehrerer Dienste (sog. Multi-Homing) üblich oder besteht ein hoher Wechselaufwand für die Nutzerinnen und Nutzer?
  • Besteht ein innovationsgetriebener Wettbewerbsdruck?
  • Besteht ein Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten?

Zu den Besonderheiten der Missbrauchsaufsicht bei bei großen Digitalkonzernen (§19a GWB) siehe hier.

Stichwort ...

... „Oligopol“

Wenn ein Unternehmen einen Markt alleine beherrscht, spricht man von einem Monopol.
Es ist aber auch möglich, dass zwei oder mehr Unternehmen zusammen marktbeherrschend sind und deshalb ein Oligopol bilden.

Von einem Oligopol geht man aus, wenn

  • zwei oder mehr Unternehmen keinem oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt sind oder gegenüber den übrigen Wettbewerbern eine überragende Marktstellung haben
  • und zwischen den Unternehmen des Oligopols auch im Innenverhältnis kein wesentlicher Wettbewerb besteht.

... „relevanter Markt“

Bilden Äpfel und Bananen einen Markt? Sind LKWs eine Alternative zu Kleinwagen? Im Rahmen der Missbrauchsaufsicht muss die Position eines Unternehmens auf einem oder mehreren abgegrenzten Märkten bewertet werden.

Der sogenannte relevante Markt muss in sachlicher Hinsicht (welche Produkte oder Dienstleistungen sind austauschbar?) und in räumlicher Hinsicht (in welchem Gebiet sind die Unternehmen dem Wettbewerb der Konkurrenz ausgesetzt?) definiert werden.

Relative Marktmacht bzw. marktstarke Unternehmen

Eine Besonderheit des deutschen Kartellrechts ist es, dass die Missbrauchsaufsicht auch zur Anwendung kommen kann gegen Unternehmen, die zwar nicht marktbeherrschend sind, aber …

… von denen andere Unternehmen abhängig sind. Es bestehen keine ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten, auf dritte Unternehmen auszuweichen.
… die als Vermittler auf mehrseitigen Märkten (z.B. als Internetplattform) tätig sind und von deren Vermittlungsleistung andere Unternehmen abhängig sind.

Eine Abhängigkeit kann sich auch daraus ergeben, dass ein Unternehmen Daten kontrolliert, und ein anderes Unternehmen für seine eigene Tätigkeit auf den Zugang zu ebendiesen Daten angewiesen ist. Solche Unternehmen werden als relativ marktmächtige oder als marktstarke Unternehmen bezeichnet.

Was sind missbräuchliche Verhaltensweisen?

Es ist nicht verboten, dass Unternehmen eine starke oder sogar eine marktbeherrschende Position in einem Markt haben. Dass Unternehmen eine solche Stellung anstreben, ist Bestandteil des Wettbewerbs. Kartellrechtlich verboten ist hingegen die missbräuchliche Ausnutzung von Marktmacht.

Missbräuchlich können Verhaltensweisen von marktbeherrschenden Unternehmen sein, wenn sie andere Unternehmen diskriminieren oder in ihren Wettbewerbsmöglichkeiten behindern. Ein Missbrauch kann auch vorliegen, wenn die Unternehmen Preise oder Geschäftsbedingungen fordern, mit denen sie ihre Abnehmer, Lieferanten oder Nutzerinnen und Nutzer ausbeuten.

Unabhängig von ihrer Stellung auf dem Markt ist es Unternehmen und Vereinigungen von Unternehmen verboten, andere zu wettbewerbsbeschränkendem Verhalten zu veranlassen oder zum Boykott Dritter aufzurufen.

Typische Fallgruppen:

  • Behinderungsverbot: Verboten ist ein behinderndes Verhalten, das sich objektiv nachteilig auf die Wettbe-
    werbsposition anderer Unternehmen auswirkt und für das es keine sachliche Rechtfertigung gibt.
    Beispiele: Langfristige Rabattverträge mit Kunden, um Wettbewerber auszuschließen, oder Kopplungsverträge, die den
    Bezug eines Produktes mit dem Bezug eines anderen verknüpfen.
  • Diskriminierungsverbot: Verbot einzelne Unternehmen gegenüber anderen Unternehmen zu bevorzugen oder zu
    benachteiligen, ohne dass es dafür eine sachliche Rechtfertigung gibt.
    Beispiele: Stark voneinander abweichende Vergütungen für gleichartige Leistungen oder Verweigerung der Belieferung
    oder der Geschäftsaufnahme gegenüber bestimmten Unternehmen.
  • Ausbeutungsmissbrauch: Von Kunden oder Lieferanten werden unangemessene Preise oder Konditionen
    gefordert. Ob die Forderungen missbräuchlich sind, wird (wenn möglich) daran bemessen, ob sie deutlich
    überhöht bzw. nachteiliger sind als auf einem Vergleichsmarkt mit funktionierendem Wettbewerb.
    Beispiele: Überhöhte Fernwärme- oder Wasserpreise bei Haushaltskunden oder unangemessene Vertragsbedingungen.
  • Das Fordern ungerechtfertigter Vorteile (sogenanntes Anzapfverbot): Ein marktbeherrschendes oder marktstarkes Unternehmen fordert von der Marktgegenseite Vorteile ein, ohne dass es dafür einen sachlich gerechtfertigten Grund gibt. Beispiel: Eine große Supermarktkette fordert von ihren Lieferanten Sonderrabatte ohne eine entsprechende Gegenleistung.

Was kann das Bundeskartellamt tun?

Beim Verdacht auf einen Missbrauch von Marktmacht kann das Bundeskartellamt sowohl ein Verwaltungs- als auch ein Bußgeldverfahren einleiten.

Ein Verwaltungsverfahren ist insbesondere dann die geeignete Verfahrensart, wenn es sich um einen komplexen Sachverhalt mit schwierigen rechtlichen und ökonomischen Fragestellungen handelt oder ein Musterverfahren dazu dienen soll, die kartellrechtliche Beurteilung einer Fallgestaltung zu klären. Das Bundeskartellamt kann als Ergebnis eines Verwaltungsverfahrens zum Beispiel anordnen, dass …

… das missbräuchliche Verhalten beendet werden muss.
… das Unternehmen künftig ein anderes Verhalten oder bestimmte Maßnahmen umsetzen muss.
… aufgrund von missbräuchlich überhöhten Preisen Rückerstattungen an die Kundinnen und Kunden zu leisten sind.

Ziel eines Missbrauchsverfahrens ist es in erster Linie, eine Änderung des Verhaltens vorzugeben, um damit möglichst bald wieder kartellrechtskonforme Zustände zu Gunsten des Wettbewerbs zu erreichen. Insbesondere im Wiederholungsfall oder in Fällen mit einem hohen Schädigungspotenzial sind Bußgeldverfahren jedoch keineswegs ausgeschlossen.

Hinweise auf Missbrauch von Marktmacht

Kontakt

Sollten Sie Insiderwissen oder Kenntnisse über ein missbräuchliches Verhalten oder sonstige Verstöße gegen das Kartellrecht haben, können Sie gerne telefonisch, schriftlich oder per E-Mail Kontakt mit dem Bundeskartellamt aufnehmen.

Sowohl die Frage, wann ein Unternehmen marktmächtig im Sinne des Kartellrechts ist, als auch die Frage, wann die Grenze zu einem verbotenen missbräuchlichen Verhalten überschritten ist, sind der Praxis nicht immer leicht auszumachen. Dennoch können Sie das Bundeskartellamt mit Hinweisen auf ein möglicherweise missbräuchliches Verhalten von marktbeherrschenden Unternehmen unterstützen.

Zahlen zur Missbrauchsaufsicht

  • 17

    ... Verfahren wurden 2022 aufgenommen.

  • 5

    ... Verfahren wurden 2022 abgeschlossen.

  • 11

    ... Verfahren wurden 2022 aus den Vorjahren übertragen.

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Quelle:AdobeStock/metamorworks

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(leer)
Quelle:zhongguo/E+